Strahlfäule

So vornehm ihr Name klingt, so unappetitlich sind ihre Folgen. „Fuso-necrohori“ heißen die Erreger der Strahlfäule in korrektem Mediziner-Latein. Bevor die Spindelbakterien zu Krankmachern mutieren, machen sie sich erst einmal nützlich. Im Darmkanal von Menschen und Tieren, vor allem von Pflanzenfressern, wirken sie bei der Verdauung mit. Doch für das Pferd werden sie zur Gefahr, sobald sie seinen Darm verlassen und mit dem Mist in den Huf geraten. Dort können sie alle Teile des Horn zum Faulen bringen.

Symptome

Vor allem ein penetrant fauliger Geruch signalisiert Strahlfäule im Pferdestall. Das Strahlhorn zerfällt zu einer schmierigen, grau- bis schwarzfarbenen Masse, es bilden sich unterschiedlich tiefe Fäulnisspalten und Aushöhlungen. Wenn das Horn schneller zerfällt als es nachwächst, schrumpft der Strahl, bis er sich schließlich völlig ablöst. Wenn das Pferd diese Symptome zeigt, stellt es vor allem seinem Betreuer ein schlechtes Zeugnis aus. Denn Strahlfäule ist meist ein Zeichen von mangelhafter Sauberkeit im Stall. Durchnässte und durchjauchte Strohmatratzen, die mit ihren Ammoniakausdünstungen auch die Atemwege belasten, oder ein matschiger, kotverschmutzter Paddock bieten den Erregern einen feuchten, warmen und damit idealen Nährboden. Schließt Schmutz im Huf die Fäulnisherde nach außen luftdicht ab, dann gedeihen die Fäulnisbakterien besonders gut, denn sie vermehren sich nur unter Sauerstoffausschluss.

Eine ähnliche Wirkung wie Dreck haben Hufeinlagen. Sie herhindern, dass Luft ins Hufinnere gelangt, und erzeugen so ein feuchtwarmes Klima. Da sie außerdem das Hufauskratzen unmöglich machen, sollten Einlagen täglich gewechselt werden. Nicht nur Erreger von außen, sondern auch ungünstige Bedingungen im Huf selbst, leisten der Strahlfäule Vorschub. Vor allem im Hufhorn mit Spalten und Rissen können sich die Bakterien leicht einnisten. Auch mangelnde Bewegung führt leicht zu dieser Krankheit: Wenn das Pferd auffußt, berührt der Strahl den Boden und drückt gegen die über ihm liegende Huflederhaut. Dadurch regt er den Blutkreislauf der Huflederhaut an, die so neues Hufhorn produziert. Dieser Hufmechanismus funktioniert allerdings nur bei einem Pferd in Bewegung. Steht das Tier den ganzen Tag in der Box, so können nicht genügend neue Hornzellen entstehen. Der Strahl sowie die anderen Teile des Hornschuhs verkümmern und bieten den Fäulnisbakterien ein leichtes Angriffsziel. Auch der Hufschmied kann die Krankheit auslösen, wenn er den Strahl durch zu starkes Beschneiden künstlich schwächt oder das Tier unzweckmäßig beschlägt. Werden die Trachten durch Stollen oder verdickte Schenkelenden hochgestellt, so kann der Strahl beim Auffußen häufig nicht mehr den Bodenberühren und seine Funktion im Hufmechanismus nicht mehr erfüllen.

Risikopatienten

Natürlich ist nicht immer der Hufschmied an der Misere Schuld. Einige Pferde besitzen von Natur aus zu hohe Trachten, sie leiden an sogenannten Bockhufen. Viele Iberer, Araber und andere Pferde mit Neigung zu engen Hufen zählen zur Risikogruppe. Bei engen Hufen drücken die Hufwände nach innen, wodurch der Strahl verkümmert. Im Extremfall rollen sich die Tragränder ein. Dann sprechen Fachleute von einem Zwanghuf. Der kann nicht nur Ursache, sondern auch Folge der Strahlfäule sein. Denn sobald der Strahl wegfault, nähern sich die Tragränder einander an. Zu hohe Trachten müssen deshalb gekürzt, umgebogene abgetragen werden. Unabhängig von der Rasse fördern einzelne Pferde mit einer weiteren anatomischen Besonderheit die Entstehung von Strahlfäule. In ihren tiefen Strahlfurchen setzt sich der Mist besonders leicht fest, weshalb es hier noch mehr als sonst auf gründliches Reinigen der Hufe ankommt.

Krankheitsverlauf

Meist nimmt das Übel in der mittleren Strahlfurche seinen Anfang. Von dort breitet sich die Fäulnis auf die seitlichen Strahlfurchen aus. Befällt sie auch die Strahlschenkel oder Hornballen, so löst sich das Horn in Fetzen ab, bis die Huflederhaut freiligt. Ob die Strahlfäule dieses fortgeschrittene Stadium bereits erreicht hat, merken Sie beim Hufe säubern. Berührt der scharfe Hufkratzer die empfindliche Huflederhaut Ihres Vierbeiners, so zuckt er zusammen und zieht seinen Fuß vor Schmerz zurück.

Folgeerscheinungen

Lahmheit droht einem Strahlfäule-Patienten in der Regel erst dann, wenn er durch die Krankheit einen Zwanghuf bekommt oder wenn sich seine Huflederhaut entzündet. Dies geschieht durch Steine oder Sand, die die Lederhaut reizen. Aber auch eine unsachgemäße Behandlung der Strählfäule kann den Patienten lahmen lassen. So empfehlen viele medizinische Fachbücher Kupfervitriol zur Behandlung von Strahlfäule, doch Dr. Stefanie Höppner, Expertin für Orthopädie an der Pferdeklinik der Freien Universität Berlin, rät von dem beliebten Desinfektionsmittel ab. „Kupfervitriol verätzt die in der Tiefe freiliegende Lederhaut“, warnt sie. „Außerdem entzieht es Wasser. In der Folge schrumpft der Strahl ein, es entstehen Risse, und unter der abgetrockneten Oberfläche geht die Fäulnis weiter.“ Einen ähnlich negativen Effekt hat Holzteer.

Behandlung

Bevor ein Desinfektionsmittel zum Einsatz kommt, müssen die verfaulten Hornteile entfernt werden. Haben sich unter der Oberfläche des Strahls Nischen und Taschen als ideale Nistplätze für Bakterien gebildet, so müssen Hufschmied und Tierarzt sie nach der strahlschonenden Devise “soviel wie nötig, aber so wenig wie möglich“ freischneiden. Nun wird der Hufstrahl mit einer Wurzelbürste, Kernseife und mit warmem Wasser gereinigt. Die Fäulnisspalte wird mit einer Mullbinde gereinigt. Diese wird so oft durchgezogen bis keine Fäulnisanhaftungen mehr vorhanden sind. Damit das Medikament wirken kann, muss es in der Fäulnisspalte platziert werden. Mit einem ausgedienten Eis-am-Stiel-Hölzchen kann der Behandelnde die Spalte auseinanderspreizen und die Flüssigkeit hineinträufeln. Bei der Entscheidung für das richtige Desinfektionsmittel hat er allerdings die Qual der Wahl.

Der Tierarzt, die Apotheke oder Drogerie bieten mehrere Produkte an:

  • Jodoformäther-Lösung (5 bis 10 %),
  • Holzteer-Spirituslösung (im Verhältnis 1:1),
  • Jodoform als Pulver,
  • Jodtinktur,
  • Chloromycetin-Spray (auch Blauspray genannt),
  • Rivanol- oder Entozon-Lösung,
  • Socatyl-Paste (sulfonamid- und formaldehydhaltig),
  • Zinksulfat-Lösung (20prozentig)

Alternative Behandlung

Bei der Behandlung von Strahlfäule gehen alternativ arbeitende Tiermediziner nicht wesentlich anders vor als ihre Kollegen aus der Schulmedizin.

Vorbeugung

Wer seinem Pferd und sich selbst diese komplizierte und manchmal monatelange Behandlung ersparen will, sollte vorbeugen. Eine saubere und trockene Einstreu verhindert Strahlfäule besonders wirkungsvoll. Wer die Möglichkeit hat, häckselt das Stroh klein, damit es die Feuchtigkeit besser bindet. Torf und teure Sägespäne nehmen noch mehr Nässe auf, aber entziehen dem Huf ebenfalls viel Feuchtigkeit, weshalb sie Strahlfäule sogar begünstigen. Denn die Qualität des Hufhorns und damit seine Widerstandsfähigkeit hängt auch von seinem Wassergehalt ab.

Die Hufe müssen vor und nach jedem Ritt, mindestens aber einmal täglich, ausgekratzt werden. Zusätzlich braucht der Strahl eine regelmäßige Pflege mit Wurzelbürste und warmen Wasser. Auch ausgiebige Bewegung auf weichem Boden, möglichst ohne Hufbeschlag, verhilft zu gesunden Füßen. Für den Fall, dass die Strahlfäule bereits zugeschlagen hat, hält Olliver Waschek ein weiteres Rezept parat: „Lassen Sie das Pferd über runde Kieselsteine laufen. Sie drücken gegen die Hufsohle, reizen die Lederhaut und regen sie zur Hornproduktion an.“ Spitze Schottersteine sind wegen der Verletzungsgefahr natürlich tabu. Eine ausgewogene Ernährung sorgt für einen funktionierenden Stoffwechsel und damit für gesundes Hufhorn. Viele Pferde bekommen zu wenig Mineralstoffe. Entsprechende Ergänzungsfutter können die Unterversorgung ausgleichen. Auch Biotin, Vitamin A und Zink kräftigen die Hufe.

Streitfragen

Umstritten ist der Einsatz von Kupfervitrol zur Desinfizierung der Fäulnisherde (siehe oben). Ansonsten sind sich die Experten bei der Behandlung von Strahlfäule nur in Randfragen uneinig, zum Beispiel bei der Frage, ob die Hornspalten mit Watte oder der nicht fusselden Mullbinde austamponiert werden sollen.